29. Veterinärsymposium der bela-pharm:

Tierwohl, Nachwuchs- und Zukunftssorgen - Herausforderungen aktiv angehen

v. l. n. r. Dr. Thomas gr. Beilage, Dr. Stephan Bergmann, Dr. Winfried Kösters, Prof. Dr. Folkhard Isermeyer

29. Veterinärsymposium der bela-pharm:

Tierwohl, Nachwuchs- und Zukunftssorgen – Herausforderungen aktiv angehen

Dr. Heike Engels

 

Die deutsche Ernährungswirtschaft ist stark in den internationalen Handel eingebunden und steht gut da, beschrieb Prof. Dr. Folkhard Isermeyer, Präsident des Thünen-Instituts in Braunschweig kürzlich auf dem 29. Veterinärsymposium der bela-pharm die derzeitige Situation. Aufgrund der steigenden Weltbevölkerung muss die Landwirtschaft weltweit weiter expandieren, um die vielen Menschen mit hochwertigen Nahrungsmitteln versorgen zu können. Hauptwachstumsländer sind derzeit Asien und Amerika, Europa ist eher rückläufig, doch speziell Deutschland hat Marktanteile gewonnen.   

 

Spagat zwischen Wochen- und Weltmarkt

Obwohl Deutschland auf dem Weltmarkt gut aufgestellt ist, sind die innerdeutschen Probleme dennoch groß. „Vor allem die sogenannte „Massentierhaltung“, für die wir übrigens noch immer keine richtige Definition haben, wird negativ beurteilt und derzeit stark diskutiert. Trotzdem geben die Verbraucher den Billigprodukten den Vorzug. Unsere Landwirte erleben derzeit einen Spagat: Zum einen produzieren sie für den Weltmarkt – Deutschland exportiert Fleisch und Milch in alle Welt – zum anderen sollen sie auf dem Wochenmarkt für den Verbraucher die bäuerliche Landwirtschaft vermitteln. Es besteht ein Konflikt zwischen dem Trend zu mehr und intensiv und der gesellschaftlichen Kritik daran.“ Doch tierisches Eiweiß sei gefragt, weltweit werde nach hochwertigen Eiweißquellen gesucht. Deshalb sei die Aquakultur nicht nur in Deutschland stark im Kommen und verzeichne hohe Wachstumsraten, obwohl sie tierschutzmäßig sehr bedenklich sei. Auch Insekten werden als Eiweißquelle immer interessanter, doch auch hier müsse man sich Gedanken machen, wie z.B. Heuschrecken optimal gehalten werden müssen, denn es seien auch Lebewesen. Die vegetarische Wurst schließlich, die in letzter Zeit verstärkt auf den deutschen Markt drängt, ist laut Prof. Isermeyer eine echte Konkurrenz zu Fleisch.

 

Nationale Tierwohlstrategie nötig

Er begrüßte die Bemühungen zu mehr Tierwohl, äußerte sich aber besorgt darüber, dass womöglich alle Maßnahmen zu mehr Tierwohl – Initiative Tierwohl, Tierwohl-Label etc. – das Problem nicht lösen. „Diese Einzelaktivitäten sind unkoordiniert, es ist eine nationale Strategie nötig. Die Politik hat hier einen Gestaltungsauftrag, den sie nicht wahrnimmt. Sie sollte Ziele vorgeben, Zukunftsbilder, und Geld in die Hand nehmen. Immer mehr Tierwohlauflagen können auch zur Abwanderung der Tierhaltung führen, Schweden ist das schon passiert, und das will hier keiner, auch nicht der Verbraucher.“ Wenn sich nichts ändere, sei der Zenit der Nutztierhaltung in Deutschland bald überschritten. Fleisch und Eier würden dann importiert werden müssen aus Ländern, wo die Herstellung der Produkte und die Tierhaltung überaus fraglich seien. Er schlug zur Lösung einen nationalen überparteilichen Diskurs vor, wissenschaftlich fundiert, gepaart mit einem Monitoring, woran wir erkennen können, ob es besser wird und wo nicht. Zur Finanzierung sieht er entweder die Selbstverpflichtung der Branche oder einen Umbau der Agrarförderung (2. Säule GAP) plus Auflagen verschärfen.  

 

Weniger, bunter, älter

Dr. Winfried Kösters, Publizist und Berater zu demografischen Fragen aus Bergheim, mahnte in seinem Vortrag, dass Deutschland immer älter werde und sich daraus eine Vielzahl von Problemen ergeben. „Demografie ist eine ganz klare Wissenschaft: Wer heute nicht geboren ist, kann morgen auch nicht Nachwuchsarbeitskraft sein. Unsere Geburtenrate liegt mit 1,41 Kindern pro Frau viel zu niedrig, um den Trend aufzuhalten.“ Demografischer Wandel besteht seiner Ansicht nach aus drei Säulen: Weniger und älter, da es gegenüber vielen Alten zu wenig Kinder gibt sowie bunter, weil wir Zuwanderung erleben und brauchen. Doch selbst mit einer erhöhten Zuwanderung sei die Vergreisung Deutschlands nur abzumildern, nicht aufzuhalten. „Die Zukunft ist nicht länger die Verlängerung der Vergangenheit. Wir brauchen ein neues Bild vom Alter. Ab wann ist man heute alt? Wir brauchen nicht nur junge Leute auf dem Arbeitsmarkt, auch die älteren sind wichtig.“ Die Landwirte und Tierärzte müssen sich fragen, welche Nahrungsmittel nehmen alte Menschen zu sich. Ist das noch Fleisch? Und haben nicht alte Menschen gerne ein Haustier? Welche Produkte braucht dieses Tier? Wer behandelt es, wenn es krank ist? Kurz: Welche neuen Dienstleistungen und Produkte ergeben sich möglicherweise aus dem demografischen Wandel für die Branche?

Er forderte dazu auf, die Situation anzunehmen und aktiv zu gestalten, um Strategien zu entwickeln, wie man mit und in einer alternden Gesellschaft am besten zurechtkommt.

 

Tierärzte vor unsicherer Zukunft

„Mit Ihnen über den Tellerand geblickt“ – dies war das Motto, unter dem das diesjährige und mittlerweile 29. Vechtaer Veterinär Symposiums im Hotel Waldhof stand. Dr. Stephan Bergmann, Geschäftsführer der bela-pharm GmbH & Co. KG sowie Tierarzt Dr. Thomas große Beilage machten den zahlreichen Zuhörern – vornehmlich Tierärzte – deutlich, dass ein neues Zeitalter angebrochen sei, dem sich alle stellen müssen. Tierärzte haben Zukunftssorgen aufgrund der vielen Diskussionen um die Art der Tierhaltung, Stichwort Tierwohl, aber auch wegen des Nachwuchsmangels. In der Abschlussdiskussion waren sich die Referenten einig, dass die Problemfelder demografischer Wandel und mehr Tierwohl für die Nutztiere nur gelöst werden können, indem aktiver gestaltet wird. „Vor allem die Tierärzte sollten aktiver werden. Klappe auf, in Alternativen denken und positiven Weg einschlagen“, so brachte es Dr. Kösters am Ende auf den Punkt.